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„Füreinander Ideen entwickeln“

 

Das FADZ in Lichtenfels ist für Gisela Raab der richtige Raum am richtigen Ort, um Hochschule und Handwerk, Schüler und Meister zusammenzubringen.

 

Gisela Raab nennt sich einen „analogen Menschen“. Als Bauunternehmerin weiß die 55jährige, dass „jede Idee auch einen Raum braucht“ und hat gelernt, dass für Gemeinschaft auch ein Kümmerer notwendig ist. Das Prinzip „höher, schneller, weiter“ stößt überall an seine Grenzen, beobachtet sie. Doch es gibt da eine Ausnahme: „Der menschliche Geist kann unendlich wachsen, ohne der Umwelt zu schaden.“ Das ist der Punkt, an dem sie das Forschungs- und Anwendungszentrum für digitale Zukunftstechnologien (FADZ) in Lichtenfels genau am richtigen Ort sieht.


Sie sitzt im Kuratorium der Hochschule Coburg und ist Mitglied der Vollversammlung der Handwerkskammer. „Diese beiden Welten treffen sich im FADZ. Wir brauchen beide.“ Raus aus dem Elfenbeinturm, raus aus dem Gewohnten, raus aus den eingefahrenen Spuren, gemeinsam rein ins FADZ, so könnte das aussehen.


In ihrem Bauunternehmen praktiziert sie das bereits. In regelmäßigen Abständen treffen sich alle Mitarbeiter zur Zukunftskonferenz, egal wie alt sie sind, welchen Beruf sie haben oder wie lange sie dabei sind. Es geht um Austausch, Inspiration, Kundenstimmen und um die Werte des Unternehmens. Und es geht darum, dass die Dinge im Wandel sind. Vor ein paar Jahren entstand der Leitspruch: „Miteinander. Zukunft. Bauen.“ Auch das hat sich weiterentwickelt: „In diesem Jahr haben wir gemeinsam überprüft, ob das noch stimmt. Und dann sind wir einen Schritt weiter gegangen:“ Füreinander. Zukunft. Bauen“. Das ist noch viel weitreichender. Auf jedem Helm klebt der Spruch vorne drauf. Gisela Raab ist so weit im Vorausdenken, dass sie den neuen Aufkleber auf ihren eigenen Helm noch gar nicht aufgeklebt hat – also leiht sie sich für das Foto den Helm ihres Sohnes.


So ein Füreinander ist auch die große Chance des FADZ. Deshalb engagiert sie sich im Vorstand des Fördervereins. Bei den Bauprojekten ihres Unternehmens legt sie Wert darauf, dass die Gebäude und Räume zum Ort und zu den Menschen passen. „Meine Bauleiter werden da manchmal verrückt mit mir, die wollen am liebsten ein paarmal das Gleiche bauen. Das wäre doch viel einfacher. Aber so funktionieren wir Menschen und unsere Gesellschaft nun mal nicht. Wir brauchen individuelle Lösungen – und dafür brauchen wir Innovationen.“ Und Innovationen entstehen, wenn die Menschen offen sind, sich für die anderen interessieren, neugierig sind, was der andere tut und sich einmischen. Den Raum dafür sieht sie in der Kirschbaummühle und im Marktplatz 15, dem ehemaligen H. O. Schulze. Dort soll schon bald die erste Zusammenkun􀈅 im Makerspace möglich sein, einer Werkstatt der Möglichkeiten und der Begegnungen. Von der Kreissäge bis zum Lasercutter, vom Lötkolben bis zum 3DDrucker sollen hier Voraussetzungen geschaffen werden, um Ideen zu entwickeln und zu verwirklichen. „Alle Menschen werden hier die Möglichkeit haben, sich gegenseitig weiter zu bringen. Das ist ein toller Input“, sagt Raab.


Als ihr Sohn noch keinen Bauhelm in ihrer Größe hatte, war sie mit ihren beiden Kindern o􀈅 in der Lichtenfelser Buchhandlung. Der H. O. Schulze ist für sie ein Ort der Bildung. So soll es auch mit dem FADZ und der offenen Werkstatt direkt am Marktplatz sein und weiter gehen: „Da bin ich für mein Leben gerne rein. Die Bücher, die Schreibwaren, die technischen Geräte zur zeichnerischen Konstruktion und die Spieleecken für die Kinder inspirierten auch schon früher kreativ zu werden. Und so ist es heute mit dem FADZ auch. Wir brauchen diesen Knotenpunkt von Hochschule und Handwerk, von Schülern und Meistern, genau hier bei uns in Lichtenfels. Nach Nürnberg fährt dafür niemand.“


Nachdenken über das eigene Handeln, Aufnehmen von Impulsen von außen, unterschiedliche Blickwinkel einnehmen: Gisela Raab versucht das nicht nur im Großen, bei ihren Bauprojekten und beim FADZ, sie übt das auch im Kleinen, für sich selbst. Zweimal im Jahr zieht sie sich für ein paar Tage ins Kloster zurück, verbindet ihr Nachdenken dann mit den Impulsen aus Gesprächen und Workshops. „Ich möchte lehren, dass man selbst aktiv wird, selbst denkt, sich selbst über sein Handeln Gedanken macht – und auch über die Materialen, mit denen jeder bauen will.“ Anstatt alles so zu lassen wie es immer schon war, nimmt sie gerne auch andere Perspektiven ein und handelt. Zum Beispiel bauen in Ebensfeld derzeit alle Raab Auszubildenden gemeinsam das neue Schulungszentrum. Unten werden die Tagungsräume entstehen, oben Zimmer für diejenigen, die Pendler sind oder gerade auf Wohnungssuche, weil sie an den Obermain ziehen möchten. Natürlich werden sie auch Gemeinschaftsräume bauen, damit sie sich begegnen, miteinander reden oder kochen können. „Die Auszubildenden müssen hier selber denken, es gibt auf der ganzen Baustelle einen einzigen alten Hasen, den sie fragen können, wenn sie nicht mehr weiter kommen – aber bitte erst dann“, sagt Raab.


„Wir hätten so viele kluge Köpfe, doch wir verhindern Fortschritt und Innovation, weil wir sie in feste Formen pressen und unsere Normen am Bau wenig Freiräume lassen, anstatt sie zum Denken und Aktivsein zu bewegen.“ Das möchte sie in ihrem Betrieb besser machen und dafür möchte sie das FADZ in Lichtenfels. „Wir brauchen es gerade im ländlichen Raum.“ Die ganze Welt handelt global – und Lichtenfels, Coburg und Kronach sollten das auch hinbekommen. Die Hochschule in Coburg, der Studiengang Zukunftsdesign in Kronach und das FADZ in Lichtenfels: „Wir sollten das miteinander angehen – und damit auch füreinander.“ Immer wieder sind es Projekte aus ihrem Unternehmen, die Beispiele für das sein können, wie im FADZ Innovation entstehen kann. In Herzogenaurach errichtete Raab mit oberfränkischen Baustoffherstellern sogenannte Forschungshäuser. Sie sollten besonders umweltschonend entstehen, aus nachhaltigen Baustoffen bestehen, wenig Energie verbrauchen. Auch wenn alles funktioniert, haben die Häuser einen „Mangel ohne Schaden“, weil zwei der Baustoffe, die noch nie so kombiniert wurden, somit noch nicht Stand der Technik sind. „Das ist absurd. Wir haben Wohnraum geschaffen, in dem sich Menschen wohl fühlen und der die Umwelt schont – und es wäre eine rechtliche Grauzone, wenn wir die Kunden nicht ausführlichst über unsere Experimente informiert hätten und die schriftliche Erlaubnis eingeholt hätten. “Vier der acht Häuser mit den Forschungsbaustoffen haben sich dann eine indische Familie, eine bulgarische, argentinische und eine chinesische gekau􀈅 – die Deutschen haben sich nicht getraut. „The German Angst“, nennen es die neuen Hausbesitzer.

„Man muss die Häuser erleben, man muss die Baustoffe riechen, dann erkennt man, dass der Weg der richtige ist“, sagt Gisela Raab. Das möchte sie ins FADZ übertragen. „Innovation braucht eine Frage und eine Idee“, sagt die Baufrau, „und dann braucht sie den Dialog und den Austausch“, sagt die Kommunikatorin: „Im Homeoffice allein wird keine Innovation entstehen.“ Dafür möchte sie analoge Menschen in einem analogen Raum zusammenbringen. Dort können sie um die Ecke denken und füreinander digitale Chancen ergreifen.